RUDOLSTADT - "STADT DER TANZFESTE"

Die Vergangenheit ist schuld daran, daß das vermutlich größte deutsche
Folk- und Weltmusikfestival bis 2002 den hausbackenen Namen "Tanz&FolkFest"
trug. Wollte man doch nach der Wende die Rudolstädter Traditionalisten-Front,
jene, die über lange Jahre mit dem DDR-Tanzfest verbunden waren, nicht vor den
Kopf stoßen. Also hieß es 1991: ein Festival mit neuem Konzept - ja, eines mit völlig
neuem Namen - jein.

Alles begann 1955. Die sozialistische Lebensfreude in der DDR nahm mit dem Rückgang
der Lebensmittelkarten zu und sollte ein eigenes Podium bekommen. Gesucht wurde
eine Stadt ohne nennenswerte Kriegsschäden, die dem Frohsinn eine adäquate Kulisse
bieten könnte. In die engere Wahl kamen nur drei, schließlich verlor Wernigerode, und
Rudolstadt gewann.

Das "1. Fest des deutschen Volkstanzes" beschwor - auch von ostdeutscher Seite - die
deutsche Einheit und somit die Einheit der deutschen Kultur. Der "amerikanischen Unkultur
wie Hot, Jazz oder Boogie Woogie" wollte man etwas Bodenständiges entgegensetzen.
Was auch die Intention westdeutscher Volkstänzer traf, die in den ersten Jahren zahlreich
anreisten. Bald aber fühlten sie sich von der fortschreitenden Ideologisierung des
DDR-Laientanzschaffens abgestoßen. "Auch Heimat- und Trachtengruppen müssen parteilich
arbeiten", tönte die Parole der Volkskunstdemagogen und zielte darauf, den Tanzspaß dem
Ernst der Großen Sache zu opfern. 1960 - noch vor dem Mauerbau - zog eine innerdeutsche
Eiszeit ein, und die BBUs, die "bösen Bonner Ultras", waren fortan unerwünscht.

Die Selbsteinmauerung der DDR ließ das leidlich gewachsene Festival auf ein "Fest des
Liedes und Tanzes auf Kreisebene" verkümmern. Statt Polkas und Rheinländern kamen
nun Tanzgebilde wie "Die Fahne von Kriwoj-Rog", " Polytechnischer Unterricht" oder
"Kampf der Jugend gegen die NATO-Wehrpflicht" auf die Bühne. Der Name des Festes
variierte während fortan in schier unerschöpflichen Adaptionen: Treffen der
LaienBühnentänzerbewegung, Folklorefest der Lebensfreude, Internationale Leistungsschau
der Amateur-Bühnentanzschaffenden oder Fest der sozialistischen Völkerfamilie.

Wie sich im Namen andeutet, wanderte der gen Westen versperrte Blick ersatzsuchend
nach Osten. Gruppen aus den "Bruderländern" (UdSSR, Polen, CSSR, Ungarn, Rumänien etc.)
brachten erstmals Ende der 60er den ersehnten Hauch Internationalismus an die Saale -
und zugleich Frust und Zerknirschung über die hiesigen Ensembles. Denn die Slawen waren
temperamentvollere Tänzer, hatten buntere Kostüme und furiosere Choreographien.
Mit einem Wort: Sie sahnten regelmäßig ab und verärgerten sogar die SED-Prominenz,
die ihrerseits versuchte, die einheimischen Ensembles per Parteiauftrag konkurrenzfähig
zu machen. 1973 öffnete sich Berlin für die 10. Weltfestspiele der Jugend und Studenten.
Im Vorfeld kam so etwas wie Freude am sozialistischen Aufbau auf. Das Tanzfest wuchs zum
sozialistischen Event. Stars aus Funk und Fernsehen traten auf, DDR-Rockbands gastierten,
und beim 13. Tanzfest 1981 lösten die Leipziger Folkländer (die den kostümierten Budenzauber
eigentlich ablehnten) mit ihrer Mitmachtanzgruppe Kreuz & Square eine geradezu epidemische
Tanzwut aus, deren Nachwehen beim TFF noch heute zu besichtigen sind.

Während das Tanzfest die 80er Jahre Dämmerzustand verbrachte, machte sich - fast
unbemerkt - die Folkszene warm. Auf zwei Pferdewagen fuhren 1984 drei Dutzend Musiker,
Tänzer und Kunsthandwerker über die umliegenden Dörfer, zelteten, zechten und musizierten
in den Gasthöfen. Einige der Teilnehmer sitzen heute in der TFF.Leitung. Die "Rudolstädter
Folkloretour" kann mit einigem Fug als Keimzelle des TFF gelten. Was gut werden will, braucht
Vorlauf.

Das Tanzfest alten Typus fand nur aller zwei Jahre statt. Das letzte fiel auf den Sommer 1989 -
während just in Ungarn die Grenze fiel. Kein ganzes Jahr später diskutierte der neue Stadtrat
über für und Wider der Fortsetzung des Festivals. Schließlich war es ein ideologiebeladenes
Relikt aus verteufelten DDR-Tagen. Ließ sich das so ohne weiteres umetikettieren?
Und würde es, neugewandet, ein neues Publikum finden? Wer nicht fragt, kriegt keine Antwort.
Wer wagt, hat immerhin Aussicht zu gewinnen.